top of page

Luftfahrtkartellrecht: Wettbewerbsrechtliche Fragestellungen aus Sicht der Luftfahrt-Branche

Aufgrund der Komplexität der Luftfahrt-Branche ergeben sich zahlreiche Berührungspunkte mit kartellrechtlichen Vorschriften aus unterschiedlichen Perspektiven. Hier ein Überblick über das Luftfahrtkartellrecht:


1. Marktmachtmissbrauch


Unternehmen, die keine marktbeherrschende Stellung innehaben, werden schon durch den Wettbewerb an missbräuchlichem Verhalten gehindert. Marktbeherrscher sind dagegen vielfach keinem (oder nur einem eingeschränkten) Wettbewerb ausgesetzt. Hier greift eine kartellrechtliche Missbrauchsaufsicht ein, um die wirtschaftliche Ausbeutung von Anbietern oder Nachfragern zu verhindern.


Marktbeherrschend sind vor allem solche Unternehmen, die auf dem relevanten Markt keinem Wettbewerb ausgesetzt sind (Monopole). Das Kartellrecht kennt zudem bestimmte Marktanteilsschwellenwerte, bei deren Überschreitung das vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung vermutet wird.


Das Einnehmen einer marktbeherrschenden Stellung allein ist natürlich nicht verboten. Als missbräuchlich gelten jedoch bestimmte Verhaltensweisen marktbeherrschender Unternehmen.


Aus Luftfahrt-Sicht ist ein solcher Marktmachtmissbrauch in vielerlei Hinsicht denkbar, beispielsweise:


Kampfpreise der Konkurrenz


Eine auf dem relevanten Markt beherrschende Airline setzt ihre Marktmacht ein, um andere Wettbewerber durch besonders niedrige Preise vom Markt zu verdrängen oder potentielle Wettbewerber vom Markt fernzuhalten. Hierbei ist auf den streckenbezogenen Markt abzustellen („Origin & Destination-Ansatz“). Weitere Kampfpreis-Szenarien können etwa auch im Bereich des Ground-Handlings vorkommen.


Unangemessene überhöhte Preise


In gewissen Konstellationen können unangemessen überhöhte Preise, die eine marktbeherrschende Airline Kunden gegenüber verlangt, kartellrechtswidrig sein. Auch in diesem Fall ist die Marktstellung der Airline auf der konkret betroffenen Strecke zu ermitteln. In diesem Zusammenhang wird vor allem auf das vom EuGH entwickelte Vergleichsmarktkonzept abzustellen sein. Zu denken ist hier an Monopolstrecken oder Destinationen, die aufgrund der Bedeutung des Zielortes fast ausschließlich von einer Hub-Airline direkt bedient werden.


Preisdiskriminierung


Eine markbeherrschende Airline handelt missbräuchlich, wenn sie von ihren Abnehmern für gleichwertige Leistungen ohne sachliche Rechtfertigung unterschiedliche Preise verlangt. Dies ist unter anderem im Zusammenhang mit Vertriebsleistungen (Reisebüros) denkbar, aber auch im Fall von Flughafenleistungen, wenn der Airport auf dem relevanten Markt beherrschend ist (z.B. bei bestimmten Ground-Handling-Leistungen).


Rabatte


Nach der Judikatur sind Mengenrabatte, die ein marktbeherrschendes Unternehmen gewährt, grundsätzlich zulässig, während Ziel- und Treuerabatte besonders geprüft werden müssen. In der Luftfahrt sind hier vor allem Rabatte relevant, die eine Airline im Rahmen ihres Vertriebssystems gewährt (Reisebüros). Solche Rabatte dürfen nicht auf eine Marktabschottung durch eine unzulässige Bindung an den Marktbeherrscher hinauslaufen. Gleiches gilt für Rabattsysteme, die ein Flughafen seinen Airline-Kunden für Leistungen anbietet, bei denen er marktmächtig ist (z.B. bei bestimmten Ground-Handling-Leistungen).


Eine unterschiedliche Gewährung von Rabatten könnte wiederum einen Fall der Preisdiskriminierung darstellen.


Konditionenmissbrauch


Unangemessene Vertragsbestimmungen (wie etwa lange Bindungsfristen oder nachteilige Zahlungsbedingungen, unbillige Gefahrtragungsregeln für den Transport etc.) sind kartellrechtswidrig, wobei ein strengerer Maßstab anzulegen sein wird, als bei der Beurteilung einer zivilrechtlichen Sittenwidrigkeit.


Auch Vorteile einer markbeherrschenden Airline auf der Nachfrageseite, die sich diese von Lieferanten gegenüber der Konkurrenz einräumen lässt, können wettbewerbswidrig sein.


Lieferverweigerung, Absatzbeschränkung


Im Bereich der exklusiven Infrastruktur (Flughafeninfrastruktur) ist schließlich an den Fall zu denken, dass bestimmten Wettbewerbern der Zugang zu solchen Einrichtungen verwehrt wird, die diese Wettbewerber jedoch für die Erbringung der eigenen Dienste benötigen –

auch ein solcher Fall kann gegen das Kartellrecht verstoßen.


2. Kartelle


Als Kartelle gelten alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von

Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken. Vereinbarungen sind entweder Verträge (Vertragskartelle) oder Absprachen (Absprachekartelle). Aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen von Unternehmern (oder Unternehmervereinigungen), durch welche der Wettbewerb beschränkt werden soll oder, ohne dass dies beabsichtigt ist, tatsächlich bewirkt wird, sind sog. Verhaltenskartelle.


Kartelle sind grundsätzlich verboten. Im Einzelfall können Kartelle vom Kartellverbot ausgenommen sein, wenn sie unter bestimmten Voraussetzungen unter angemessener Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen („Einzelfreistellung“). Daneben bestehen Ausnahmen für sog. Bagatellkartelle.


Als problematisch gelten vor allem folgende Beschränkungen:


  • Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern (z.B. gemeinsame Festsetzung von Verkaufspreisen, koordinierte Einschränkung der Produktion, Aufteilung von räumlichen Märkten)

  • Vereinbarungen zwischen Vertriebspartnern (z.B. Beschränkungen des Einzelhandels, die eigenen Verkaufspreise festzusetzen oder in einem selektiven Vertriebssystem passive Verkäufe an Endverbraucher vorzunehmen, Alleinbezugs- und Alleinvertriebsverträge)


Wie in anderen Branchen, sind auch in der Luftfahrtindustrie zahlreiche Fälle kartellrechtswidriger Vereinbarungen denkbar (zuletzt standen z.B. Luftfrachtkartelle im Fokus).


Besonderes Augenmerk sollte dabei auch auf jede Form der Kooperation mit Wettbewerbern gelegt werden – kartellrechtlich genau zu prüfen werden vor allem strategische Allianzen und Codeshare-Agreements sein. Sofern im konkreten Fall kartellrechtsrelevante Vereinbarungen vorliegen, könnten diese dennoch im Sinne einer „Einzelfreistellung“ kartellrechtlich zulässig sein. Dabei müssen etwaige durch die Allianz erzeugte oder verstärkte Marktzutrittsschranken im Detail betrachtet werden.


Die kartellrechtlichen Rahmenbedingungen müssen schließlich auch bei der Implementierung eines Vertriebssystems Beachtung finden. Im Fall eines Handelsvertreter- bzw. Agentursystems muss sichergestellt sein, dass das sog. „Handelsvertreterprivileg“ zur Anwendung kommt („echter Handelsvertreter“, der wirtschaftlich betrachtet kein eigenständiger Marktteilnehmer ist, sondern nur ein verlängerter Arm seines Auftraggebers). Auf echte Handelsvertreterverträge ist das Kartellverbot nämlich nicht anwendbar, weil der echte Handelsvertreter und sein Auftraggeber kartellrechtlich betrachtet ein einziges Unternehmen bilden. Wettbewerbsbeschränkungen sind deshalb zulässig. Der Vertrag mit einem unechten Handelsvertreter andererseits unterliegt dem Kartellverbot und darf insbesondere keine bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen enthalten (z.B. Verbote passiver Verkäufe oder nicht freigestellte Gebiets- oder Kundengruppenbeschränkungen).


Schließlich ist stets sicherzustellen, dass im Zusammenhang mit Wettbewerbern kein Austausch wettbewerblich sensibler Informationen stattfindet (Kartellverstoß!). Ein funktionierendes Compliance-System ist dafür essentiell.


3. Zusammenschlusskontrolle (Fusionskontrolle)


Bestimmte Unternehmenserwerbe sind anmeldepflichtig (Bundeswettbewerbsbehörde, Europäische Kommission) und behördlich zu prüfen und zu genehmigen. Bestimmte Konzentrationsprozesse können damit untersagt oder mit Auflagen versehen werden, wenn sie zur Entstehung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung führen würden.


4. Rechtsfolgen


Im Fall eines Verstoßes gegen das Kartellrecht kann einerseits vor dem Kartellgericht (Antrag auf Abstellung oder Feststellung), gegebenenfalls vor der Europäischen Kommission, und andererseits vor den Zivilgerichten (Unterlassungsklagen, Schadenersatz) vorgegangen werden. Auch eine Beschwerde bei der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) kann im Einzelfall sinnvoll sein.


Das Kartellgericht bzw die Europäische Kommission können bei Verstößen gegen das Kartellrecht zudem Geldbußen verhängen. Diese können bis zu 10 % des im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes gegen einen Unternehmer (eine Unternehmervereinigung) erreichen!



Rechtsanwalt Luftfahrtrecht


Rechtsanwalt Dr. Simon Harald Baier LL.M. berät zu allen Fragen des Luftfahrtrechts und zu kartellrechtlichen Themen.


Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Kosmetikrecht - ein Überblick

Das Kosmetikrecht ist ein komplexes rechtliches Rahmenwerk, das die Herstellung, den Verkauf, die Kennzeichnung und den Einsatz von kosmetischen Produkten regelt. Es umfasst eine Vielzahl von gesetzli

bottom of page